re:discover

Besucher schauen sich ein Gemälde an. Ein Galerist erklärt Ihnen das Bild.

Förderprogramm für Künstlerinnen und Künstler in einer gereiften Schaffensphase und ihre Galerien

Wir freuen uns sehr, dass das auf der art karlsruhe 2024 erstmals realisierte Förderprogramm re:discover zwei weitere Jahre vom BKM gefördert wird und somit in die zweite Runde geht.

Gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V. (BVDG) und unterstützt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) möchte die art kalrsruhe unzureichend gewürdigtes künstlerisches Schaffen für eine breitere Öffentlichkeit wieder sichtbar und wirksam zu machen.

20 jurierte Galerien werden im Rahmen von re:discover jeweils eine künstlerische Position präsentieren, die trotz ihrer Qualität und trotz eines kontinuierlichen Schaffens originärer Kunstwerke keine dauerhafte überregionale bzw. internationale Sichtbarkeit, Anerkennung und Sammlerschaft erlangen konnten.

Gefördert von:

Portrait Kristian Jarmuschek, Vorsitzender des Beirats der art karlsruhe

Mit dieser neu geschaffenen Sektion möchten wir auf besondere Weise die Qualitäten der art karlsruhe steigern und ein auf Kunstmessen einzigartiges Format etablieren.


Kristian Jarmuschek, Vorsitzender des Beirats der art karlsruhe

re:discover Künstlerinnen und Künstler 2025 (Verfasser: Karlheinz Schmid)

Natürlich hängt Putin in Übergröße an der Wand, wenn Ulrich Baehr dank seiner Malerei russische Wohnzimmer besucht. Gleichwohl feiert der Künstler, seit jeher ein Kritiker totalitärer Systeme, niemals die Machthaber, sondern steht auf Seiten der ihnen ausgelieferten Menschen. Hintersinnige, widerborstige Details verraten es. Hochpolitisch, diese Kunst, ohne plakativ zu wirken. Bilder, die zum Nachdenken über die Weltlage anregen, die aber auch einzelne Schicksale im Strudel von Natur und Kultur ins Visier nehmen. Ein Gesamtwerk, das sich nicht übersehen lässt, das es in sich hat.

Mögen die Themen, ob „Lenins Schlaf“ oder „Krieg im Unterholz“, noch so sehr verführen, die bildnerischen Möglichkeiten der Figuration auszuspielen: Letztlich trumpft Baehr nicht narrativ, sondern malerisch auf. Dabei lässt er sich durchaus auf scheinbar frei tanzende Pinsel ein, erlaubt ihnen, an informelle Strukturen anzudocken. Ein Zauberer der Geste. Einer, der aus dem Material filtert, was dann die Betrachter teilhaben lässt und sie mit eigenen Erzählungen integriert. Völlig unerheblich, wie das alles stilistisch einzuordnen ist.

Unzählige prominente Kritiker und Theoretiker, darunter Eckart Gillen, Heinz Ohff, Eberhard Roters, Lucie Schauer und Wieland Schmied, haben in den vergangenen Jahrzehnten den Bogen vom Realismus bis zur Pop-Art gespannt und Ulrich Baehr künstlerisch verortet. Doch es drängt sich der Verdacht auf, dass man dem Maler nicht gerecht werden kann. Denn seine Haltung ist eine durch und durch freiheitsliebende.

Da ist Musik drin, was Wunder. Denn obgleich Hans Bohlmann einst in Leipzig bei Arno Rink die Malerei studierte, widmete er sich danach jahrelang seiner Musik. Nun zeigt sich, dass die bildende Kunst davon profitiert, denn diese Bilder, Kompositionen der sachlichen, der reduzierten Art, zeugen von bewusst gesetzten Rhythmen, von feiner Gliederung der Elemente. Die richtigen Abstände zu finden, zugleich größtmögliche Nähe herzustellen, das ist eine ebenso hohe wie notwendige Kunst, wenn die malerische Botschaft ankommen soll.

Bohlmann gelingt es, im Zuge optimaler bildnerischer Verdichtung inhaltliche Reduktionen auf die Leinwände zu bringen, die allzeit den Blick für das Wesentliche freimachen. Wo stellvertretend menschliche Figuren agieren, wo schemenhaft Haustiere oder Requisiten des Alltags bereitliegen, öffnet sich ein künstlerisches Spannungsfeld, das den Betrachter animiert, Position zu beziehen. Der Künstler als Moderator und als Spielleiter für einen Wettbewerb, wie ihn das Leben selbst ausschreibt.

Zwischen Disziplin und Ungehorsam gieren diese Bilder nach Aufmerksamkeit. Und die wird seitens der Rezipienten gewährt, weil der Künstler selbst zurückhaltend bleibt. Nein, seine eigene Emotionalität bringt Hans Bohlmann bewusst nicht ein. Keine himmelhochjauchzende Freude, keine abgrundtiefe Betrübnis – nicht mehr und nicht weniger als ein Angebot, anhand seiner Setzungen die Drehbücher der Gegenwart anschaulich zu verfassen.

In einer von Krisen und Kriegen gebeutelten Welt, die fragil wie selten zuvor wirkt, scheinen Modulsysteme aus Papier und Pappe überaus angemessen. Die implizierte Vergänglichkeit erlaubt freilich durchaus energische Formfindungen, Objekte wie Loch- und Rasterkugeln oder in sich geschlossene Wellenschleifen. Aber neben solchen Objekten sind auch ganze Rauminstallationen möglich, die sich formal und inhaltlich dehnen, die den Wachstum von vermeintlich natürlichen Strukturen begünstigen – und mit ihren Teleskop- und Kabel-Assoziationen in neue Sphären vordringen. Selbst dann, wenn sich, schmerzerfüllt, ein vertrautes „Migräne“-Objekt dazwischen schmuggelt.

Keine Frage: Was Sabine K Braun mit ihren unverwechselbaren, dreidimensionalen Papierarbeiten anrichtet, ist gedanklicher Zündstoff auf dem Boden freiheitlicher und zeitgleich bedrohter Umwelt. Während es hier sprießt und gedeiht, natürliche Zellstrukturen mit ihrer Vermehrung zu tun haben, sind dort, oft im selben Raum, bereits feindliche Wirbel zu spüren, die zerstören wollen. Ein dünnhäutiges System.

Die Künstlerin arbeitet mit Netzen, auch mit doppeltem Boden. Denn ihre schönen und zugleich gefährdeten Objekte bevorzugen ein Dasein im Rudel, geben sich häufig gegenseitig den Halt. Sie sind obendrein einzigartige zellulare Hybride, die ihre Kraft aus den Wurzeln eines breit orientierten Weltbildes ziehen. Wer soeben vor den Arbeiten noch eine natürliche Herkunft zu ahnen schien, wird bereits im nächsten Moment und ohne Standortwechsel technische oder architektonische Verbindungen sehen. Spurwechsel, Gedankenslalom.

Die Schönheit und die Sinnlichkeit ihrer Motive seien für sie interessant, sagt Andrea Eitel. Eine Botschaft habe sie nicht. Die schlichte Haltung passt zur profanen Auswahl der Gegenstände. Ein klassisches Repertoire - vom Stillleben über die Landschaft bis zum Porträt. Verblüffend einfach inszeniert, ohne jene in der Kunst oft zu registrierende Geheimniskrämerei, konzentriert sich die Malerin auf das Objekt ihres Interesses. Es kann eine Blüte sein, ein Hundekopf oder ein verrostetes Rohr.

Zunächst fotografisch dokumentiert, aber dann ganz dem Eigenleben der Malerei verpflichtet, reduziert sich der Gegenstand auf das Wesentliche. Auf Effekte wird verzichtet; kein Glimmer, kein Glitzer. Pur bleibt die Künstlerin selbst dann, wenn sie vorübergehend einen kleinen Hang zum Narrativen erkennen lässt. Ob Kind und Ball, Hand und Autoreifen oder Seife und Wasserhahn: Andrea Eitel bedient den Betrachter mit naheliegenden Kombinationen, so dass sich Rätselhaftes nicht einstellen mag.

Der Rezipient wird kurzerhand mit sich selbst konfrontiert, nicht abgelenkt von Erzählungen auf anderen Ebenen. In der Konzentration auf den Gegenstand mag zwar bisweilen eine Botschaft keimen, doch bevor sie allzu präsent in die Wahrnehmung dringt, zerstäubt sie sich wieder. Ganz im Sinne der Künstlerin.

Dass der kunsttheoretische Background kein Hindernis auf dem Weg zum guten Bild sein muss, dokumentiert die bildnerische Arbeit von Doris Farklas. Die Kunsthistorikerin, auch in der Lehre tätig, weiß viel über malerische Mittel, ihre Wirkung und den wissenschaftlichen Kontext – und dennoch neigt sie nicht dazu, ihre Werke zur Illustration mutieren zu lassen. Vielmehr schöpft sie aus dem Vollen der Erkenntnis und bleibt dennoch allzeit für das Neue offen, mithin für jene Konstellationen, die sich aufgrund des Materials zwangsläufig ergeben.

Im Mut zur Farbe und zur Form kombiniert Farklas vermeintlich unvereinbare Elemente, vermählt gegensätzlichste Bestandsteile ihrer Arbeit. Das geschieht ungeheuer treffsicher, mit höchstem Empfinden für das formal Notwendige. Wo ein Element der mehrteiligen Kompositionen schwächelt, wo es Unterstützung braucht, gewährt sie Beistand. Wo ein anderes Teil übermütig und/oder übermächtig auftreten will, dämpft sie die Wirkung, setzt eine andere Form dagegen und/oder greift farblich ein. Ein kühner Spagat im Geviert konkreter Kunst.

Über die Phänomenologie hinaus: Dieses Werk impliziert viel Zeitgeist, ohne sich modisch zu geben. In einer Gesellschaft, die lernen muss, achtsam zu sein, Minderheiten zu schützen und Vielfalt zu schätzen, können die Kompositionen von Doris Farklas quasi Handlungsanweisungen sein. Wie sich zwei größere Bauteile dieser oft plastischen Wandbilder behutsam um ein verbindendes Klötzchen beugen, wie sich ein schweres Element von einem leichten, schnelleren gewissermaßen ziehen lässt – das sind auch Muster für das Miteinander in einer vielfach herausfordernden Zeit.

Schon in ihren Metallarbeiten der achtziger Jahre war erkennbar, dass Haare, Fäden und Linien für die Künstlerin überaus bedeutungsvoll sind. Seit über drei Jahrzehnten stellt Niko Grindler minimalistisch anmutende Bilder her, die letztlich aber so reduziert gar nicht sind. Denn bei näherer Betrachtung geht es nicht nur um streng komponierte Faden-Arrangements, sondern eben auch um sich daraus ergebende Licht- und Schatten-Modulationen sowie häufig um jene rückseitig vorhandenen Unterkonstruktionen, den diversen Faden-Verknotungen.

Naturgemäß kommt so eine dialektische Ebene in die ohnehin philosophisch aufgeladene Kunstbetrachtung. Grindlers Bilder sind Zeugnisse eines Kunstbegriffs, der der Kontemplation gewidmet ist. Sie arbeite aus der Stille für die Wahrnehmung in der Stille, so formulieren es ihre Laudatoren gerne und zu Recht. Denn ob in Farbe oder im bevorzugten Schwarzweiß: Diese Bildobjekte verraten höchste Atelierdisziplin, sie fordern folglich auch die Rezipienten, in der Konzentration die Erfüllung zu finden.

Dass dieses bildnerische Werk entrückt sei, in anderen Sphären sein Zuhause habe, lässt sich nicht behaupten. Denn allemal im Bauhaus-Zusammenhang wurde textiles Gestalten salon- und kunstmarktfähig. Vor allem aber ist der Umgang mit Faden und Nadel in diesem noch jungen Jahrhundert wieder angesagt, wie zuletzt die Biennale in Venedig eindrucksvoll zeigte.

Dass Künstler von Haus aus Forscher seien, hatte der legendäre Museumsdirektor Jean-Christophe Ammann schon vor Jahrzehnten behauptet. Heike Lydia Grüß war von Anfang an, mithin nach ihrem Kunststudium in Berlin, auf dieser Spur unterwegs. Sie interessierte sich insbesondere für den Kolonialismus und unternahm dank alter Dokumentarfotografien eine Zeitreise, um mehr über Menschen und Umstände zu erfahren. Traditionen und Mythen beschäftigen sie nach wie vor, und religiöse und familiäre Strukturen, oft voller Tabu-Themen, reizen die Künstlerin sehr, porentief zu ergründet, wie alles miteinander verbunden ist.

Dabei weiß die Malerin durchaus, dass sie durch den Filter westeuropäischer Färbung sieht, wie etwa Naturvölker die Rolle der Frau definieren. Sie versucht sich nicht zuletzt dank ihrer zeichnerischen und malerischen Erfassung solcher Themenfelder vom vertrauten Wahrnehmungsraster zu befreien und scheut vor subjektiv stark aufgeladenen Verzerrungen nicht zurück. In manchen Porträts tauchen folglich feindselige Gesichtszüge auf. Ja, es sind teils Fratzen, aggressionsgeschwängert. Und doch kippt das Entlarvende niemals um. Jegliche Typisierung wird vermieden, jeder Kopf ist anders.

Das individuell Schicksalhafte katapultiert das Werk von Heike Lydia Grüß aus der Gefahrenzone plakativer Darstellung. Sie darf sich auf eine Handschrift verlassen, die Verletzlichkeit suggeriert, die seismographisch ehrlich wirkt. So verweigert sich das Gesamtwerk, wie aus einem Guss gemacht zu erscheinen; so bleibt es überaus authentisch und lädt zur intensiven Auseinandersetzung ein.

Blütenträume, Mauerblümchen, kleines Glück – das klingt alles, als sei nichts zu befürchten, als habe jemand nur das Gute, Wahre und Schöne im Visier. Doch es gibt im Werk von HELMA Petrick auch andere Bildtitel, einer Dunkelkammer oder einem kalten Hauch gewidmet, die Gefahr ahnen lassen. Gefahr im Grenzbereich. Und so will die Malerei von HELMA, die den Lyriker Thomas Bernhard verehrt, was nicht von ungefähr kommt, just an einer Schnittstelle verortet werden.

Mitten im Märchen, dort, wo sich in idyllischem Ambiente plötzlich das Abgrundtiefe öffnet, wo hintersinnig allegorische Deutungen möglich sind: Was die Künstlerin auf die Leinwand bringt, verzaubert dank des poetischen Charakters, aber es steckt eben immer auch voller Empörung und Wut, allemal Bitternis. Nichts bleibt also in dieser Malerei wirklich unbehelligt, weil überall Schmerz herrscht. „Wild wächst die Blume meines Zorns“, so Thomas Bernhard, und das Blut, schrieb der Dichter, tropfe aus seiner Sonne.

Allein die Begeisterung für Bernhard lässt rasch nachvollziehen, dass HELMA zwar in der Vergangenheit immer wieder einmal mit dem legendären Berliner Realismus in Verbindung gebracht wurde, doch mit den einst auch tagespolitisch reagierenden Kollegen der zeitkritischen Fraktion hat die Malerin wenig zu tun. Von Beginn an war es ihr wichtig, auf universelles Terrain vorzustoßen, in der Übersetzung das zu entdecken, was ihre bildnerische Arbeit auszeichnet. Ja, es geht um Poesie in der Malerei, auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion.

Sie ist in etlichen Sammlungen vertreten, kann eine stattliche Ausstellungsliste vorlegen und findet just im Kunstbetrieb doch jene Widerstände, die sie tüchtig anregen, eigene Erfahrungen zum Thema ihrer Kunst zu machen. Sabine Herrmann, wie viele Künstlerinnen aus der DDR nach dem Mauerfall im Westen nicht sofort akzeptiert, hatte lange mit einem doppelten Handikap zu kämpfen, und so nahm sie immer wieder auch ihre benachteiligte Rolle als Frau im Kunstmarkt in die malerische Arbeit. Plausibel.

Plausibel auch, wie die Malerin, die sich zudem kulturpolitisch einbringt, etwa im Verein Berliner Künstlerinnen, virtuos sämtliche Register zieht, um sich bildnerisch zu äußern. Auffällig ist, dass es ihr primär nicht um die oft geforderte unverwechselbare Handschrift geht, sondern dass sie bewusst sämtliche Spielarten berücksichtigt. Weder vor der Figuration noch vor Schriftbildern schreckt sie zurück, und die Abstraktion ist ihr ein besonderes Anliegen. Die treibt sie exzessiv voran, so dass sich schwere, dicht komponierte Balken-Kompositionen teilweise einer Zuordnung zum Ausgangspunkt des Malprozesses verweigern. Sie erwecken den Eindruck, einer konkreten Bildwelt entnommen zu sein.

Sabine Herrmann, die nach eigenen Angaben ihre Oberflächen so lange bearbeitet, „bis das letzte Quadrat-Zentimeterchen eine durchgeformte Struktur bekommt“, gehört zu den Künstlerinnen, die innere Bilder nach außen bringen und einen Gleichklang anstreben. Das Verfahren, mag es im Ergebnis noch so expressiv und zügig gemalt wirken, setzt große Sensibilität voraus, auch die Bereitschaft, im Einzelfall zu scheitern. Ergo Risiko-Malerei.

Obgleich man meint, gelegentlich ein Gesicht oder gar einen kompletten Menschen zu erkennen, obwohl Reales mitunter ins Bild zu kommen scheint: Nein, nein, Guido Kucznierz hat mit der Wirklichkeit, rein künstlerisch gesehen, nichts im Sinn. Im Gegenteil. Vehement erläutert der Künstler, dass er sich völlig leermache, wenn er zeichne: „Ich versuche, an nichts zu denken“. Das vorausgeschickt, zu dumm, geraten sämtliche Interpreten sofort ins Abseits, wenn sie es sich leichtmachen wollen.

Kucznierz, der auch Skulpturen baut, ist auf der permanenten Suche nach dem Unbekannten, nach dem Neuen. Nichts darf an Dagewesenes erinnern, nichts soll auf der Basis vertrauter Momente und Objekte entstehen. Logisch, dass Kritiker seiner Bildwelten von Utopien berichten. Reisen in unbekannte Körper werden attestiert, und vielleicht handelt es sich auch um Organisches. Der Künstler will es aber vermutlich selbst nicht wissen, sondern in der Freizone eigener Erfindung schon zum nächsten Bild eilen und einen anderen Planeten erobern.

Das im Werk festzuzurrende Obsessive dient schließlich doch noch der Einordnung dieses ungewöhnlichen Werks. In der Freiheit formaler und eben auch inhaltlicher Art, wo weder Interpretationsakrobaten noch Sprachwissenschaftler eine Chance haben, öffnet sich ein Kosmos voller Abenteuer, der die Kunst wieder zu den Ursprüngen zurückführt. Frei von illustrativen Aufgaben und nachhaltig oder sonst wie orientierten Ansprüchen darf sie Kunst sein, nichts als Kunst.

Keine lineare Werk-Entwicklung, wirklich nicht. Sprunghaft von Thema zu Thema, von Technik zu Technik, von Stil zu Stil. Und dennoch zeichnet sich das Gesamtwerk von Laszlo Lakner durch eine hohe Dichte aus. Denn der ungarische, seit langem in Deutschland lehrende und lebende Künstler sieht in der Vielseitigkeit die Möglichkeit der Selbstbehauptung. Biographisch eingebunden, so vermittelt es sich rasch, sind unterschiedlichste Bilder letztlich als Facetten eines intensiv empfundenen Lebens zu sehen.

Von der kritischen Auseinandersetzung mit der politischen Realität in Osteuropa bis zum amerikanischen Graffiti-Traum und von der Erforschung der Todessymbolik bis zum vitalen Umgang mit literarischen Dokumenten des Lebenswillen reicht das Spektrum. Konzeptkunst, Pop-Art, Realismus, Informel, Spurensuche – kaum eine Kunstrichtung, die Laszlo Lakner in den vergangenen Jahrzehnten nicht zugeordnet wurde. Mit Zeichnungen, Collagen, Ölbildern, bemalten Tüchern, Fotografien, Schrifttafeln, Bronzeskulpturen und vielen anderen Werken nähert er sich seinen Motiven und Themen immer wieder aus anderer Perspektive, allzeit bereit, alles auf den bildnerischen Prüfstand zu stellen.

Auch die Aneignung von Bild und Wort gehört zu Lakners Repertoire. Im malerischen Nachempfinden fremder Handschriften nähert er sich ebenfalls schöpferisch tätigen Persönlichkeiten und historischen Hintergründen, ohne dabei den Radius eigener künstlerischer Präsenz zu vernachlässigen. Ein Virtuose, einer, der hellwach inhaliert, was die Zeitgeschichte bietet.

Vielleicht dient die „Gliederpuppe“, ein Aquarell aus dem Jahr 2003, am ehesten dazu, die Arbeit von Wolfgang Leber einzuordnen. Die aus treffsicher platzierten Linien und mutig gesetzten Farbflächen gebildete Figur stakst selbstbewusst von rechts nach links – und lässt keinerlei Zweifel aufkommen: Hier geht es, völlig unverblümt, um die Bereitschaft, sich auf die Klassische Moderne einzulassen. Ganz so, als wolle der Künstler aus dem Extrakt künstlerischer Arbeit großer Kollegen, etwa Braque, Matisse und Picasso, das Beste herauspressen, komponiert Leber neue Bildwelten auf vertrautem Terrain.

Immer die Gegenständlichkeit im Blick, so die Analyse, abstrahiert der Maler beispielsweise Porträts, Stillleben oder Räume. Mal taucht eine reich bestückte Werkbank in Öl auf Hartfaserplatte auf (2021), mal sind es blaue und nicht rote Kirschen (2011), mit Ölfarbe auf Holz gemalt. Dem vermeintlich hinlänglich Strapazierten haucht Wolfgang Leber stets irritierende Details ein, die schließlich doch die Kraft haben, das komplette Bild einer erweiterten Aufmerksamkeit zuzuführen.

Im Balance-Spiel auf der Achse Farbe und Form entstehen immer wieder zudem Objekte und Skulpturen, die im Einzelfall auch erkennen lassen, dass der allzeit um Harmonie bemühte Künstler bisweilen überraschend humorvoll reagieren kann. „Der Schlüssel zum Erfolg“, eine bemalte Eisen-Skulptur aus dem Jahr 2004, dient denn gar nicht der oft metaphorisch eingesetzten Symbolik. Stattdessen: Die Arbeit ist, was sie ist, eben eine Formation aus Eisen mit einem echten Schlüssel.

Ein zittrig verwackelter Strich – so heißt es in einem der Texte über Paul Thuile, der Kunst und Design an der Freien Universität Bozen lehrt. Doch wenn einer zugleich Künstler und Informatiker und außerdem Hühnerhalter, Brotbäcker und Wurstkoch ist, dann zittert sich ein solcher Tausendsassa ganz bewusst durchs Leben. Thuile, der viel zeichnet und fotografiert, der das aufs Papier Gebrachte gerne erneut befragt und in einen anderen Kontext rückt, denkt und lebt auf unterschiedlichen Ebenen. Immer bereit, die Rolle rückwärts zu machen, reagiert er gerne auf Räume sowie ihre Geschichte und eine bevorstehende oder zurückliegende Umwidmung.

Dabei können sich über die Fokussierung auf den einzelnen Gegenstand, meist Objekte des Alltags, Räume völlig neu darstellen, auch der damit verbundene Zeitfaktor eine andere Bedeutung erhalten. Bildnerische Artistik quasi, wenn ein Kleiderbügel auf der Stange hängt, mit dem gerne zitierten verwackelten Strich direkt auf die dahinterliegende Wand gezeichnet wird – und das alles dann obendrein per Fotografie medial vervielfältigt und in die Distribution gebracht werden kann.

Das Zwei- und Dreidimensionale zu bändigen, zu verbrüdern, einer erweiterten Sehweise zu übereignen – das gelingt Thuile am laufenden Band. Im Prozess künstlerischer Arbeit werden Kräfte freigesetzt, die die Transformation von ihrer schönsten Seite zeigen. Folglich gibt es auch nichts, was Trauer aufkommen lässt, wenn sich Vergänglichkeit über Ambiente und Architektur stülpt. Ein versöhnliches, tröstendes Werk.

Gewiss spielt die Tatsache eine entscheidende Rolle, dass Beate Christine Winkler einst, bevor sie sich vorrangig der Kunst widmete, Biologie studierte und sich folglich schon früh auf die Natur einließ. Flora und Fauna in ihrer Diversität sind denn nach wie vor ein zentrales Anliegen der Künstlerin, und gerade in einer Zeit ökologischer Herausforderungen könne Malerei nicht arg- und selbstlos entstehen, kommuniziert sie.

Freilich weiß Beate Christine Winkler, dass es wenig Sinn macht, die Dringlichkeit des Themas illustrativ zu bebildern. Sie mag auch nichts beschönigen oder gar in den Chor der Verdränger einstimmen. Die Natur ist bedroht, und die Menschen haben Verantwortung. Jeder an seinem Platz. Für die Malerin und Bildhauerin, die im Einsatz nachhaltiger Mittel einen Beitrag leistet, geht es darum, mit vergänglichen Materialien und in einem meditativ anmutenden Schaffensprozess die Natur zu würdigen.

Auf die Arbeit in der Stille des eigenen Ateliers folgt freilich der Dialog. Im Kontakt mit den Menschen bemüht sich Winkler, den Blick für die Thematik zu öffnen. Ihre künstlerischen Arbeiten, darunter Flechtwerke aus handgeschöpftem Papier, dienen somit auch als Sender in einer Gesellschaft, die das Gespräch mehr als jemals zuvor benötigt.

Ob draußen oder drinnen platziert, ob stehend oder hängend inszeniert: Was Jo Winter in den öffentlichen oder in den privaten Raum bringt, ist sofort als seine Arbeit auszumachen. Wie er, der vor Jahrzehnten promovierte Biologe, seine Anregungen aus dem Umfeld holt, wie er Häuser, Türme oder Boote in die Abstraktion hievt, das ist einzigartig.

Dass der Bildhauer mit seinen Skulpturen (aber auch mit den ebenfalls kraftvollen Zeichnungen) Beachtung erfährt, hat viel damit zu tun, wie er das Material seiner Kunst, insbesondere Holz, mit einer gewissen archaischen Aura versieht. Wie aus der Zeit gefallen, so scheint es, sind diese Werke auf den ersten Blick, und bei näherer Betrachtung wirken sie dann atemberaubend zeitgemäß. Nämlich schwarz, verbrannt. Als sei eine Naturkatastrophe über sie hereingebrochen.

Wer den Gedanken aufgreift, landet automatisch dort, wo der Künstler eine unmissverständliche Botschaft einbringt, wo er die Gesellschaft vor den Folgen unverantwortlichen Tuns warnt. Sind Architekturen und Behausungen anderer Art, Boote etwa, nicht als Domizile für Menschen gedacht und gemacht? Ist es nicht unsere Aufgabe, Schutzräume zu schützen?

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